Juden in Fell

Der Vortrag wurde von Hermann Erschens M.A verfasst und vom Autor gehalten anlässlich des Festaktes zur Vorstellung der Ausstellungstafel „Jüdisches Leben in Fell“ am 1. Februar 2017 in der ehemaligen Synagoge in Schweich.

 

1. Von der ersten Erwähnung bis zur völligen Gleichberechtigung in der Weimarer Republik

Ende des 16. Jahrhunderts haben wir erste Hinweise auf Juden in Fell. In seinen Verordnungen aus den Jahren 1580 [1] und 1592 [2] führt der Trierer Erzbischof und Kurfürst Johann von Schönenberg darüber Klage, dass sich immer noch Juden in Fell und anderen Orten des Erzstifts trotz seiner Anordnung, sie auszuweisen, aufhielten.

Der Trierer Erzbischof und Kurfürst war als Territorialherr Inhaber des Judenregals. Mit ihm verfügte er über das vom Kaiser verliehene Hoheitsrecht über die Juden, die dadurch seiner Gerichtsbarkeit und seinem Schutz unterstanden.

Er stellte den Juden einen Geleitbrief aus, der ihnen erlaubte, sich unter seinem Schutz an einem Ort niederzulassen und Handel zu treiben.

Voraussetzung für die Erteilung des Geleitbriefs war ein Mindestvermögen von 300 bis 400 Reichstaler; dazu musste noch einmalig ein Einzugsgeld bezahlt werden sowie Geld für die Geleitserneuerung.

Da der Geleitbrief und der damit verbundene landesherrliche Schutz viel Geld kosteten und somit nur wohlhabenden Juden möglich war, blieben die übrigen, die sich das Geleit nicht leisten konnten, „sozial deklassiert“; sie gerieten „in die gefährliche Nachbarschaft von Bettlern und Landstreichern“ und mussten von den jüdischen Gemeinden versorgt werden. [3]

Manche Juden waren neben dem Kurfürsten noch zusätzlich einem anderen geistlichen oder weltlichen Herrn verpflichtet. Das lässt sich gut nachweisen an den uns vorliegenden zwei Geleitbriefen aus den Jahren 1692 [4] für die Juden Marx David und Jacob Gottfriedt aus Fell.

Der Abt von St. Maximin ist in dieser Zeit in Fell Grundherr und Gerichtsherr, d.h. Herr über das Land und die Leute, die dort wohnen. Der Trierer Kurfürst besitzt als Landesherr lediglich die Landeshoheit. Als Grundherr in Fell erlaubt der Abt von St. Maximin dem Juden Marx David, sich in seinem Dorf Fell niederzulassen und dort seinem Gewerbe nachzugehen, um sich und seine Familie ernähren zu können.

Das alles jedoch „ohne Nachteil landesfürstlicher Jurisdiktion“, d. h. Marx David darf sich in Fell erst niederlassen, wenn er die Erlaubnis des Kurfürsten dazu hat. Diese bekommt er erst, wenn er z. B. den dem Kurfürsten zustehenden Anteil des Schutzgeldes bezahlt hat.

Wurden die verschiedensten Sonder- und Ausnahmeregelungen der kurfürstlichen Verordnungen von den Juden noch als bedrückend empfunden, so brachte die Französische Revolution für sie das volle Bürgerrecht, das am 25.09.1791 in der französischen Nationalversammlung verkündet und nach der Besetzung des linken Rheinufers im Jahre 1794 und der offiziellen Eingliederung im Jahre 1801 auch auf die linksrheinischen Gebiete übertragen wurde. Verfolgung und Vertreibung hatten ein vorläufiges Ende. Die Lage der Juden verbesserte sich, vor allem bis 1800: Aufenthalts- und Zuzugsfreiheit wurden gewährt und sie erhielten gleiches Wahl- und Arbeitsrecht.

Nach antijüdischen Ausschreitungen in den Rheinlanden gab Napoleon der Bevölkerung nach und schränkte mit Dekreten die Rechte und Freiheiten der Juden wieder ein. Die Niederlassungsfreiheit wurde wieder beschnitten und Handel und Gewerbe wurden nur gegen ein jährlich zu erneuerndes Patent erlaubt. Diese Gesetzgebung blieb in den linksrheinischen, später preußischen Gebieten weiterhin in Kraft.

Die Vorlage des Gesetzes vom 23.07.1847 über die völlige Gleichberechtigung der Juden wurde mit 215 gegen 185 Stimmen abgelehnt: die Juden blieben Staatsbürger zweiter Klasse.

Erst mit Beginn der Weimarer Republik im Jahre 1919 wurde ihnen in Deutschland de facto die volle, unangefochtene Gleichberechtigung gewährt.

2. Die Anzahl der Juden in Fell und ihre wirtschaftliche Stellung

Wie wir wissen, wurden bereits 1580 Juden in Fell erwähnt und in den folgenden Jahren ein-zelne Personen oder Familien; doch erst in der napoleonischen Zeit haben wir einen genauen Überblick über ihre Anzahl: 13. [5]

1852 waren es 24, die größte erfasste Zahl, etwa dreißig Jahre später (1885) waren es ledig-lich noch 9 und1938/1941 nur noch 3.

Im 18. bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist die Familie Jacob in Fell erwähnt; im 18./19. Jahrhundert die Familie Schweich; im 19. Jahrhundert die Familie Levy; im 19./20. Jahr-hundert die Familie Ackermann. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten die Brüder Samuel und Hermann Meyer aus Zerf in die Familie Ackermann eingeheiratet und sich in Fell niedergelassen.

Nach den uns vorliegenden Quellen hatten die Feller Juden folgende Berufe bzw. gingen folgender Beschäftigung nach:

Sie waren Metzger, z. B. Isaak Ackermann, der nebenbei auch Kleinkrämer und Handelsmann war,
seine Söhne waren ebenfalls Metzger,
Levi Schweich war Bäcker,
sie waren Händler, vor allem Viehhändler, wie Salomon Gottlieb Jacob,
sie waren Kaufmann, wie Leopold und Levi Schweich.

Der Metzger war eine wichtige Person in der jüdischen Gemeinde, da er für das nach religiösen Vorschriften rituell geschlachtete, also koschere Fleisch, zuständig war.
Wichtig war auch der Bäcker, der den Matzen nach strengen religiösen Vorschriften backen musste.

3. Die Organisation der Gemeindeangelegenheiten

Die jüdische Gemeinde in Fell war zu klein, um eine eigene Synagogengemeinde zu bilden. Die Juden in Fell gehörten – wie die in Longuich – zur Kultusgemeinde Mehring, die sich 1910/11 vergeblich um den Status einer Synagogengemeinde im Sinne des preußischen Gesetzes von 1847 bemüht hatte.

War die jüdische Gemeinde in Fell auch keine Synagogengemeinde im Sinne dieses Gesetzes von 1847, so war sie doch ähnlich organisiert:

Sie wurde vom Vorsteher der Gemeinde und gewählten Vertretern, die verschiedene Ämter ausübten, geleitet. Der Vorsteher war verantwortlich für die religiösen, wirtschaftlichen und sozialen Belange der Gemeinde, d. h. von der Gemeinde „die Mittel für die Personalkosten von Rabbiner, Lehrer und Vorbeter, für Synagoge [bzw. Bethaus], Schule und Friedhof aufzu-bringen.“ [6]

Die jüdische Gemeinde in Fell gehörte zum Oberrabbinat Trier. Der Rabbiner übte die Gerichtsbarkeit aus, soweit nicht die staatlichen Gerichte zuständig waren; er nahm Trauungen vor und überwachte den Gottesdienst, den Religionsunterricht und das Schächten.

4. Die Synagoge

Sie ist der Ort, an dem die Gemeinde das Leben des Einzelnen begleitet: von der Beschneidung des Knaben über den ersten Aufruf zum Vorlesen der Tora, von der Heirat bis zur Totenfeier.

Das Haus in der heutigen Brückenstraße Nr. 9 war nach Aussagen Feller Bürger die jüdische Synagoge. Ob es sich um eine Synagoge im Sinne eines eigenständigen Gebäudes oder lediglich um einen Betsaal handelt, der in kleineren jüdischen Landgemeinden sich meist in einem Privathaus befand, ist unklar.

Die jüdische Gemeinde in Fell war nie so groß, dass sie die vorgeschriebene Anzahl von 10 männlichen Betern im Alter von mindestens 13 Jahren (Minjan), die für einen Synagogengottesdienst notwendig waren, zusammenbrachte. Man besuchte – vor allem an Festtagen – die Synagoge in Mehring.

5. Schule und Unterricht

In Fell gab es keine eigene jüdische Schule wie in der Städten, z. B. in Trier und Wittlich, oder in einem größeren Dorf wie Schweich. Die jüdischen Kinder besuchten – außer am Sabbat – die katholische Elementar- bzw. Volksschule. Den Religionsunterricht erteilte ein jüdischer Lehrer. Wie aus einer Übersicht aus den Jahren 1848 bis 1853 [7] hervorgeht, erteilte der Lehrer Schweich aus Mehring nicht nur hier in Fell, sondern auch in Fell, Longuich und Mehring den Religionsunterricht. War kein Religionslehrer da, so erteilten Privatpersonen den Unterricht, so 1850 Isaak Levy aus Fell und 1851 ein Jude namens Herschel aus Niederfell. Der Unterricht entfiel, wenn die Eltern kein Geld für den Lehrer aufbringen konnten oder sich niemand in der Gemeinde fand, der den Unterricht übernahm, so im Jahre 1852. Daraufhin übernahmen im darauf folgenden Jahr die Eltern selbst den Religionsunterricht.

Der Religionsunterricht beschränkte sich im Wesentlichen auf die religiöse Unterweisung der Kinder: auf das Lernen der wichtigsten Gebete für den Gottesdienst, auf die biblische Geschichte der Juden, die Glaubens- und Pflichtenlehre und das Lernen der Feste, den Jahreskreis und den damit notwendig verbundenen Unterricht in den Grundzügen der hebräischen Sprache.

6. Der Friedhof

Der jüdische Friedhof in Fell ist 421 qm groß. Er enthält heute noch 17 Grabsteine (darunter ein Doppelgrab), deren Inschriften überwiegend in Hebräisch verfasst sind.
Der älteste noch vorhandene Grabstein stammt – nach der bisherigen Erkenntnis – aus dem Jahre 1799, der jüngste aus dem Jahre 1935.

Der jüdische Friedhof ist ein Ort der ungestörten Ruhe für die Toten, und zwar für ewige Zeiten. Sowohl das einzelne Grab als auch der Friedhof sind unantastbar, sind dauerhafte Heimat des Verstorbenen.
Zur Sicherung der Totenruhe muss der Friedhof mit einer Mauer symbolisch umschlossen sein, wie hier in Fell, zumindest aber mit einer Hecke.

Der Friedhof darf nicht am Sabbat und an jüdischen Feiertagen besucht werden, weil diese Tage als Freudentage und nicht als Trauertage begangen werden sollen.
Anders als bei christlichen Friedhöfen legen die Angehörigen keine Blumen, sondern kleine Steine auf den Grabstein. Der Brauch soll vom Auszug der Israeliten aus Ägypten herrühren, als die Gräber der in der Wüste Bestatteten mit Steinen (z. B. vor Tieren) geschützt wurden.

1941 hatte die Gemeinde Fell den jüdischen Friedhof für 100 RM erworben. [8] Nach dem Krieg ging er im Rahmen der Wiedergutmachung mit Urteil vom 15.06.1950 an die jüdische Kultusgemeinde Trier über. [9]

7. Das Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden

Das Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden war im Großen und Ganzen konfliktfrei, es war ein selbstverständliches Miteinander. So war es selbstverständlich, dass man als Christ – in Fell gab es außer Juden nur Christen – auch jüdische Freunde hatte, mit denen man zusammen die Schulbank drückte, mit denen man spielte, mit denen man gemeinsam Feste feierte. Z. B. luden sich bei einer Hochzeit befreundete Familien ein. War ein Jude gestorben, so war es für die christlichen Nachbarn und Freunde selbstverständlich, mit den Trauernden hinaus auf den Friedhof zu ziehen, wie es für die Juden selbstverständlich war, einen verstorbenen Christen auf seinem letzten Weg zu begleiten.

Christen zündeten am Sabbat ihren jüdischen Nachbarn das Feuer an; die sogenannten „Sabbatmädchen“ bekamen dann als Belohnung einen Mazzen.

Christen und Juden wohnten mit- und nebeneinander, und so teilte man als gute Nachbarn Freud und Leid.

Und selbstverständlich kaufte man beim Juden.

Diese positiven Seiten des Verhältnisses zwischen Juden und Christen, das selbstverständliche Miteinander wird in Gesprächen mit Zeitzeugen immer wieder sowohl von nichtjüdischer als auch von jüdischer Seite hervorgehoben.

Doch es gab auch die andere Seite, die Vorurteile:

Juden waren in den Augen ihrer christlichen Mitbürger „anders“, sie hatten eine andere Religion, andere Sitten und Bräuche.

Diese „Andersartigkeit“ führte zu Vorurteilen und Konflikten. Der bekannteste Vorwurf der Christen war der, die Juden trügen die Schuld am Tode Jesu. Der Ausruf der jüdischen Menge vor Pilatus „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!“ (Matthäus 27,25) wurde im Laufe der Jahrhunderte, von den Christen auf verhängnisvolle Weise missdeutet, oft zur blutigen Realität. Besonders in der Karwoche kam es hier und da durch die Predigt des Pfarrers, der die Juden als „Mörder Christi“ beschimpfte und der in den Großen Fürbitten am Karfreitag für die „treulosen Juden“ (pro perfidis Judaeis) betete, oft zu Beleidigungen und Drohungen gegenüber den Juden.

Die Unkenntnis bzw. das mangelhafte Wissen der meisten Christen über die Religion und den gelebten Glauben der Juden führte oft zu Missverständnissen und Spannungen.

Auf Unverständnis bei der christlichen Bevölkerung stießen einige religiöse Vorschriften der Juden, so z. B. dass man beim Gebet eine Kopfbedeckung trug.

Die für viele Christen ungewohnten Melodien der jüdischen Gesänge und Gebete in hebräischer Sprache, die man nicht verstand, kommentierte man mit der Bemerkung: Jetzt mauscheln sie wieder! – ein Ausdruck, den man heute noch gebraucht, wenn zwei, meist in betrügerischer Absicht, etwas besprechen, was ein dritter nicht verstehen soll.

Dass die jüdischen Kinder laut und im Chor die Bibeltexte und Gebete aufsagten, sah man als Zeichen der Disziplinlosigkeit an. Auch dass man in der Synagoge später kommen und zwischendurch und früher hinausgehen konnte, war für die christlichen Dorfbewohner nicht zu begreifen, herrschte doch im christlichen Gottesdienst absolute Disziplin. Wenn heute Kinder oder Erwachsene zusammen und dabei laut sind, hört man hier und da bei der älteren Generation noch den Ausspruch: Hier geht es zu wie in einer Judenschule!

Zu den Vorurteilen kamen auch Konflikte.

Im bereits erwähnten Geleitbrief (1692) für den Juden Marx David, der vom Abt von St. Maximin die Erlaubnis bekommt, sich in Fell niederzulassen, heißt es, dass er hier wohnen und seine Nahrung suchen darf, ohne dass man Klagen über sein „Missverhalten“ hört. Es heißt darin aber auch, dass Zender und Gemeinde von Fell den Juden Marx David bei sich „dulden und ruhig wohnen“ lassen und ihn nicht belästigen, sondern ihm Hilfe und Beistand gewähren sollen.

Gemahnt werden also Jude und Christ, wohl ein Beleg dafür, dass das Verhältnis zwischen Juden und Christen nicht konfliktfrei war.

Vor allem Handel und Geldverleih boten immer wieder Anlass zu Konflikten. Hauptvorwurf gegen die Juden: sie seien Diebe, Schacherer und Wucherer und nutzten die Notsituation derjenigen aus, die auf den Handel mit ihnen und ihren Geldverleih angewiesen sind.

Der Viehhandel zwischen jüdischem Händler und Bauer war zwiespältig: Einerseits waren beide aufeinander angewiesen und es bestand oft ein enges Vertrauensverhältnis. Andererseits war der Handel jedoch auch mit Konflikten und den daraus resultierenden antisemitischen Ressentiments verbunden.

8. NS-Zeit

8.1 Antijüdische Ausschreitungen

Mit der sogenannten „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten verschärften sich die Konflikte. Das trotz der eben aufgezeigten Spannungen bisher relativ gute Einvernehmen wich jetzt einem immer stärker zu Tage tretenden Antisemitismus. Es begann die Ausgrenzung und Entrechtung der Juden.

Nach Zeugenaussagen stand am Boykotttag (1. April 1933) ein SS-Mann vor dem Eingang der Metzgerei des Samuel Meyer und verwehrte den Kunden den Zutritt.

In der Reichspogromnacht (9./10.1938) wurden der Familie Samuel Meyer die Wohnung demoliert, die Fensterscheiben ihres Wohnhauses zertrümmert und Geschirr auf die Straße geworfen; die Meyers flüchteten durch den Hintereingang ins Freie.

Der Amtsbürgermeister von Schweich berichtet in seinem Schreiben an das „Regierungsbezirksamt für Wiedergutmachung und verwaltete Vermögen“ in Trier vom 16.02.1954, der Bürgermeister von Fell habe ihm berichtet: das Mobiliar und der Hausrat der Familie Meyer sei 1938 bei der „bekannten Judenaktion“ teilweise zerstört und der Rest später versteigert worden. [10]

8.2 Das Schicksal der Familie Samuel Meyer

1938 lebte nur noch die Familie Samuel Meyer in Fell.

Samuel Meyer ( ⃰ 1873 Hentern, wohnhaft in Zerf) war verheiratet mit Sophie Zibora Paulina Ackermann (*1868 Fell); sie hatten drei Kinder: Martha (*1903), Thekla (*1905) und Leo (*1907). Samuel Meyer war Metzger und Inhaber einer Metzgerei in Fell.

Leo Meyer emigrierte 1938 in die USA zusammen mit seinem Vetter aus Niederzerf. Er arbeitete als Metzger in einem Fleisch-Großhandel in New York. 1949 heiratete er Rita Recha Meyer. Er starb1955 in New York. [11]

Thekla Ackermann, seine Schwester, war während des Krieges in Frankreich; von dort wurde sie am 09.09.1942 nach Auschwitz-Birkenau deportiert. [12] Nach dem Einwohnerbuch Fell ist Thekla Ackermann in Litzmannstadt (Lodz) verschollen; sie wurde für tot erklärt; als Zeitpunkt ihres Todes wird der 31.12.1942 angenommen.

Martha Meyer und ihre Eltern Samuel und Sophie Zibora Paulina wurden am 16.10.1941 von Fell mit einem Linienbus nach Trier gebracht und am gleichen Tag mit dem in Luxemburg eingesetzten Deportationszug, der 518 Juden aus dem Trierer Raum und Luxemburg umfasste, ins Getto Litzmannstadt/Lodz deportiert und dort ermordet. [13]

Vor der Deportation musste Samuel Meyer seinen gesamten Besitz, der anschließend versteigert wurde, peinlich genau auflisten. Das Versteigerungsprotokoll vom 30.10.1941 listet die Namen der zu versteigernden Gegenstände mit Preisangabe und Namen der Käufer auf. Der Versteigerungserlös in Höhe von 1.517,55 RM wurde an das Finanzamt Trier überwiesen. [14] Versteigert wurde auch der Haus- und Grundbesitz: Wohnhaus, Stallgebäude, Schlachthaus und Nebenanlagen (geschätzter Verkaufswert: 4.500 RM) sowie Ackerland. [15]
Für das Wohngebäude lagen mehrere Anfragen Feller Bürger vor. Aus sozialen Gründen wurde einer kinderreichen Familie das Anwesen zu einem Preis von 4.880 RM zugesprochen; der Kaufvertrag wurde am 12.06.1942 im Finanzgebäude Trier abgeschlossen. [16] Die landwirtschaftlichen Parzellen wurden eingezogen und in das Grundbuch des Reichsfiskus (Reichsfinanzverwaltung) eingetragen und verpachtet.

Ab Januar 1942 wurden im Getto Litzmannstadt/Lodz sogenannte „Aussiedlungen“ durchgeführt, „zur Arbeit“, so die offizielle Begründung. In Wirklichkeit bedeutete das die Deportation ins 60 km entfernte Vernichtungslager Kulmhof/Chelmno. Etwa 15.000 Westjuden erhielten eine „Ausreise-Aufforderung“, unter ihnen auch Sophie Zibora Paulina Meyer und ihre Tochter Martha.

Samuel Meyer starb am 04.11.1941 in Litzmannstadt. Über die letzten Tage seiner Frau und seiner Tochter im Getto schreibt Pascale Eberhard: „Der Kummer über den Verlust eines geliebten Menschen, die Kälte und der Hunger zehren ihre letzten Kräfte auf. Martha pflegt ihre Mutter, die den ganzen Winter über das Bett hüten muss. Trotz eines Attestes ihres Arztes, der bescheinigt, dass sie wegen Altersschwäche nur in ganz geringem Maße gehfähig ist, wird ihr Gesuch um Aufschub“ der Ausreise-Aufforderung abgelehnt.

Der Brief um Aufschub vom 07.05.1942 lautet:

„Auf die mir heute zugesandte Ausreise-Aufforderung möchte ich mit
diesem erg. um einen Aufschub bitten. Ich begründe dieses
wie folgt. Ich bin durch mein 74jähriges vorgerücktes Alter augenblick-
lich sehr schwach & füge von meinem behandelnden Arzt hierüber eine
Bescheinigung bei. Ich war den ganzen Winter durch körperliche Schwä-
che bettlägerig und muß heute noch viel zu Bett liegen. Meine Tochter
Marta Meyer bedarf dringend der Pflege & bitte höfl. meinem Gesuch
statt zu geben & mir, sowie meiner Tochter den gewünschten Aufschub
zu bewilligen. Indem noch um gefl. bewilligten Bescheid sofort
mir zu übermitteln ich bitte:

Hochachtungsvoll
Zibora Paulina Meyer“ [17]

Mutter und Tochter wurden drei Tage später ‚ausgesiedelt‘ und im Lager Kulmhof/Chelmno ermordet.

8.3 Das Schicksal des Isaak Ackermann und der Familie seines Schwagers Hermann Meyer [18]

Isaak Ackermann (*1865 Fell), Zibora Paulina Ackermanns Halbbruder, war mit Berta Samuel aus Trittenheim verheiratet. Sie starb am 15.12.1935, ihr Grabstein ist der letzte, der auf dem Feller Judenfriedhof aufgerichtet wurde. Nach dem Tode seiner Frau zog Isaak Ackermann von Fell nach Trier, Peter-Friedhofen-Straße 5. Am 27.07.1942 wurde er nach Theresienstadt deportiert, wo er am 20.11.1942 starb.

Seine Halbschwester, Theresia Ackermann, 1875 in Fell geboren, hatte 1902 in Zerf Hermann Meyer (* Niederzerf) geheiratet; er war Viehhändler und hatte einen kleinen Obst- und Gemüseladen in Zerf; sie hatten fünf Kinder: Leo (*06.03.1903), Isidor (*19.09.1904), Ludwig (*26.08.1906), Martha (*20.03.1908) und Helena (*14.12.1909). Hermann Meyer, seine Frau Theresia und ihr behinderter Sohn Isidor wurden am 27.07.1942 nach Theresienstadt deportiert: Theresia Meyer starb dort am 08.01.1943, Isidor Meyer am 04.03.1943 und Hermann Meyer am 18.04.1943.

Leo Meyer emigrierte in die USA, ebenso seine Schwester Martha, die nach ihrer Heirat mit Shaul Singer nach Haifa/Israel auswanderte; Helena Meyer wurde wahrscheinlich Opfer des Euthanasieprogramms in einem Heim für geistig Behinderte; das Schicksal Ludwig Meyers ist unbekannt.

9. Rückerstattung bzw. Wiedergutmachung

Schon bald nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde von alliierter und jüdischer Seite Wiedergutmachung für das Unrecht verlangt, das die Nationalsozialisten an den Juden begangen hatten. Obwohl viele deutsche Politiker damals von der moralischen Verpflichtung der Deutschen zur Wiedergutmachung überzeugt waren, konnte man sich sowohl aus psychologischen als auch aus politischen und wirtschaftlichen Gründen nur sehr schwer über ein Wiedergutmachungsgesetz einigen.

Erst auf Druck der Besatzungsmächte wurde am 10.11.1947 das sogenannte Rückerstattungsgesetz in den drei Westzonen verkündet, ein erster Schritt auf dem Wege der Wiedergutmachung; den vorläufigen Abschluss bildete das Bundes-Rückerstattungsgesetz vom 19.07.1957.
Das Geld, das diese Organisationen sowohl von den Länderregierungen und der Bundesregierung als auch von Einzelpersonen bekamen, und zwar auf dem Vergleichs- und Gerichtsweg, wurde direkt an Einzelpersonen, aber auch an jüdische Hilfs- und Wohlfahrtsorganisationen weitergegeben, die es dann verteilten. Ein großer Teil floss nach Israel und wurde dort für den Aufbau des neuen Staates und die Eingliederung der zahlreichen Einwanderer verwendet.

In Fell kam es zu Nachforderungen durch Leo Meyer. [19] Am 11.03.1948 schrieb er aus New York an das Landgericht in Trier, Abteilung Restitutionskammer und bat darum, als einziger Überlebender seine Familie, in den früheren Besitz seiner verstorbenen Eltern eingesetzt zu werden:
Haus, Schlachthaus und Stallung, sowie Ländereien. Alles sei am 16.10.1941 an den Reichsfiskus übertragen und das Haus am 16.02.1942 an eine Feller Familie für 5.065 RM verkauft worden. Außerdem seien Mobiliar und Schmucksachen etc. abgenommen worden. Der Wert werde von ihm auf einen Vorkriegswert von ca. 15.000 US-Dollar geschätzt.

Gegen die Forderungen Leo Meyers erhob der Anwalt der Familie, die das Haus erworben hatte, Einspruch u.a. mit der Begründung: Der Kaufpreis habe der damaligen Taxe entsprochen und sei sicherlich angemessen gewesen. Der Beklagte lege Wert darauf, dass er das Haus damals nicht aufgrund seiner Beziehung zur Partei, sondern wegen seiner großen Zahl von neun Kindern erhalten habe. Das Anwesen sei in einem schlechten Zustand gewesen und man habe viel investieren müssen. Der Beklagte sei bereit, im Vergleichswege das Anwesen neu zu erwerben.

Dagegen erhob nun Leo Meyers Anwalt Einspruch. Der Streit zog sich weiter hin, bis es schließlich am 05.07.1951 vor dem Landgericht Trier zu folgendem Vergleich kam: Der Kläger verzichtet auf die „Nutzungsansprüche“, die Beklagten verzichten auf die „Verwendungsansprüche“, da sich die gegenseitigen Ansprüche aufheben. Die Kosten des Rechtsstreits übernehmen die Beklagten.

Quellen

1
Eine undatierte, vielleicht aus dem Jahr 1580 stammende Beschwerde der Landstände im Landeshauptarchiv Koblenz (LHAK), Best. 1 E, Nr. 1236 fol. 2; möglicher Bezug: LHAK, Best. 1 C, Nr. 37 a, St. 547: 1580 Aug. 2. Siehe Bertram Resmini: Juden am Mittelrhein im 16. Jahrhundert. In: Jahrbuch für westdeutsche Landesge-schichte 7 (1981), S. 87 Anm. 45.)
2
Johann Nikolaus von Hontheim: Historia Treverensis diplomatica et pragmatica. Tom. III. Augsburg 1750, S. 174.
3
Dokumentation zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Rheinland-Pfalz und im Saarland von 1860–1945, B. 1, S. 5.
4
Juden Gelaidt zu Fell. In: Stadtarchiv Trier. HS 1644/377, Arch. Max. VI, S. 1157 und S. 1692.
5
LHAK, Best. 312,7 Nr. 3: Mairie Longuich.
6
Richard Laufner: Die Geschichte der jüdischen Bevölkerung im Gebiet des heutigen Kreises Trier-Saarburg, S. 171.
7
LHAK, Best. 442, Nr. 13443, S. 40 f., S. 124 f., S. 174 f., S. 218 f., S. 282 f., S. 354 f.
8
LHAK, Best. 583,2, Nr. 4024.
9
Ebd., Best. 583,2, Nr. 5910.
10
AfW Saarburg. Aktennr,: 131453.
11
Siehe Aufbau 1949, Nr. 8.
12
Die Information basiert auf einer Liste der aus Frankreich deportierten Juden, in: Le Memorial de la deportation des juifs de France, Beate et Serge Klarsfeld, Paris 1978, mitgeteilt von Wolfgang Appell, Erlangen.
13
Pascale Eberhard und Barbara Weiter-Matysiak: Die Deportation der Trierer und Luxemburger Juden ins Getto Litzmanstadt. In: Jahrbuch des Kreises Trier-Saarburg 2012, S. 180 und Pascale Eberhard: (Hrsg.): Der Überlebenskampf jüdischer Deportierter aus Luxemburg und der Trierer Region im Getto Litzmannstadt. Saarbrücken: Blattlausverlag 2012, S. 68.
14
LHAK, Best. 572,008, Nr. 20671.
15
Ebd.
16
Ebd.
17
Pascale Eberhard, S. 68 und Pascale Eberhard und Weiter-Matysiak, S. 183.
18
Nach Editha Bucher, Franz-Josef Heyen (Hrsg.): Dokumente des Gedenkens. Koblenz 1974 (Dokumentation, Bd. 7); Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945. Hrsg. vom Bundesarchiv 2006; Trier vergisst nicht. Gedenkbuch für die Juden aus Trier und dem Trierer Land. Hrsg. vom Stadtarchiv Trier. Trier 2010; Verzeichnis der jüdischen Einwohner der Stadt Trier. November 1938–Juni 1943. In: Dokumentation. Bd. 7; Edgar Christoffel: Der Weg durch die Nacht. Trier 1983.
19
Siehe LHAK, Best. 583,2, Nr. 2016, Nr. 2366, Nr. 2859, Nr. 4024, Nr. 4037, Nr. 4041, Nr. 4433, Nr. 4594, Nr. 5072, Nr. 5198, Nr. 5936, Nr. 5910.