Jüdisches Leben in Schweich

Deportation

FK

Rosa Kahn mit Familie, rechts: Ausweis ihrer Tochter Lucia Karoline mit Judenstempel, nach Litzmannstadt deportiert, von dort nach Kulmhof/Chelmno; für tot erklärt.

Irma Schloss

Dieser Bericht wurde nach mehreren Gesprächen mit Frau Irma Schloß über ihr Schicksal und das ihrer Familie von Herrn Hermann Erschens zusammengestellt.

Klothilde Schloß (*04.08.1905 Leiwen), heiratete 1929 in Klüsserath den niederländischen Juden Hermann Nathans (*25.06.1998 Arnheim), mit dem sie nach der Heirat in dessen Geburtsort Arnheim zog. Nach der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten und den ersten Ausschreitungen gegen die Juden in Deutschland konnte Klothilde ihre Familie in Leiwen davon überzeugen, dass es besser sei, Deutschland zu verlassen und zu ihr nach Arnheim zu ziehen, was die Familie dann auch 1935 tat. Die jüngste Tochter der Familie, Berna (*02.03.1909 Leiwen), heiratete in den Niederlanden. Ihr Haus in Leiwen verkauften sie 1935 an Josef Schmitt.
Als die deutschen Truppen im Mai 1940 Holland besetzten, lebten die Juden dort zunächst noch relativ sicher. Salomon Schloß half seinen Schwiegersöhnen bei deren Geschäften. Weil sie u. a. Vieh an die Wehrmacht verkauften, wiegten sie sich in einer gewissen Sicherheit, obwohl Bekannte und Freunde ihnen immer wieder rieten, nach England zu emigrieren. Als die SS-Sonderkommandos, die im Gefolge der Wehrmacht in die Niederlande kamen, mit der systematischen Erfassung der Juden und den ersten Deportationen begannen, war es zu spät. Im Spätherbst 1943 wurden Klothilde, ihr Mann Hermann und ihr zehnjähriger Sohn verhaftet. Bevor sie abgeführt wurden, fragte Klothilde, völlig verstört, ob sie sich noch von ihrem Vater verabschieden könne. Damit hatte sie, ohne es zu wollen, ihren Vater, der sich in einem Verschlag auf dem Speicher versteckt hatte, verraten. Als die SS-Männer nach oben gingen, lief Irma (*06.08.1907 Leiwen) - aus einem plötzlichen Entschluss heraus - davon und konnte dem SS-Mann, der sie verfolgte, in der Dunkelheit entkommen. Salomon Schloß, seine Tochter Klothilde, ihr Mann und ihr Sohn wurden gleich, die Mutter, die im Bett lag und eine Krankheit vortäuschte, wurde am nächsten Tag abgeführt. Irma rannte in der Nacht aus der Stadt hinaus aufs Land, bis sie erschöpft bei einem Bauern anklopfte, der sie aufnahm und versteckt hielt. An dem Tag, an dem ein Transport mit Juden aus Arnheim abfahren sollte, ging der Bauer mit Irma zum Bahnhof, um vielleicht noch einmal ihre Angehörigen zu sehen. Als sie suchend auf dem Bahnhof umhergingen, hörte Irma plötzlich ihren Namen rufen und erkannte auf einem Waggon ihre Schwester Klothilde. Sie wollte zurückrufen, aber der Bauer hielt ihr den Mund zu und führte sie vom Bahnhof weg, was ihr wohl das Leben gerettet hat. Salomon Schloß und seine Frau Luise wurden 1943 in Auschwitz, Klothilde, ihr Mann und ihr Sohn in Sobibor ermordet. Klothilde soll, wie Zeugen, die das KZ überlebten, später berichteten, von KZ-Ärzten zu medizinischen Versuchen missbraucht worden sein, sie soll Schreckliches erlitten haben, bevor sie in der Gaskammer ermordet wurde. Berna Schloß und ihr Mann wurden ebenfalls in einem KZ, wahrscheinlich in Sobibor, ermordet. Bevor sie deportiert wurden, überließen sie ihren knapp einjährigen Sohn einer Niederländerin, um ihn so retten zu können. Ob er überlebt hat, ist nicht bekannt. Irma Schloß lebte eine Zeitlang bei dem Bauern, der sie am ersten Tag ihrer Flucht vor den SS-Schergen aufgenommen hatte. Doch weil sie den Bauern und seine Familie nicht gefährden wollte, packte sie eines Nachts ihre Sachen, ging davon und fand eine neue Familie, die sie aufnahm. Sie war in den folgenden Jahren immer auf der Flucht: sie reiste auf Viehwagen, auf Handkarren, stapfte mit ihrem Koffer in der Hand weiter, war zeitweilig jede Nacht in einem anderen Haus, blieb auch manchmal für eine Woche oder einen Monat, blieb immer in einem Versteck: auf dem Speicher oder im Keller. Mal wurde sie freundlich aufgenommen, mal wurde sie auch abgewiesen oder musste ihre Unterkunft bezahlen. In einem streng calvinistischen Haus wollte man, dass sie konvertiere; sie kam in Konflikt, blieb aber doch ihrem jüdischen Glauben treu. In all den Jahren, in denen sie untertauchen musste, hat sie viel erdulden müssen: den Schmerz über den Verlust ihrer Angehörigen, Angst, Einsamkeit, Demütigungen, Hunger, Kälte. Stark sei sie nie gewesen, sagt sie, aber Gott mache stark. Ihr Glaube sei es gewesen, der ihr die Kraft gegeben habe, durchzuhalten. Alles ist Gottes Wille, habe ihr Vater gesagt, als man ihn wegführte. Gottes Wille, sagt sie, sei es auch, dass sie überlebt habe. Nach der Befreiung durch die Alliierten blieb sie noch zehn Jahre lang in Arnheim, immer auf der Suche nach ihren Angehörigen, immer in dem Glauben, eines Tages könnte jemand zurückkommen, der sie brauchte, vor allem immer in der Hoffnung, den Sohn ihrer Schwester Berna zu finden. Dann, als es ihr zur Gewissheit geworden war, dass wohl keiner mehr zu finden sei und keiner mehr zurückkehren würde, zog sie nach Südafrika zu einem Onkel, mit dem sie später nach Deutschland zurückkehrte und den sie hier bis zu seinem Tode pflegte. Danach lebte sie zusammen mit einem Juden in Buenos Aires; nach dessen Tod kehrte sie wieder nach Arnheim zurück. Das Heimweh hatte sie dorthin getrieben. Dort lebte sie strenggläubig, voller Gottvertrauen und ohne Hass. Die letzten beiden Jahre verbrachte sie in einem Altersheim in Arnheim. Dort starb sie am 29. Mai 1991.