Juden in Mehring

Der Vortrag wurde von Hermann Erschens M.A. verfasst und vom Autor gehalten anlässlich des Festaktes zur Vorstellung der Ausstellungstafel „Jüdisches Leben in Mehring“ am 22. Februar 2018 in der ehemaligen Synagoge in Schweich.

 

1 . Überblick über die Anzahl der Juden in Mehring von 1663 bis 1938

Einen ersten Hinweis auf Juden in Mehring finden wir in einer Steuerliste des Amtes Pfalzel aus dem Jahre 1663; dort wird der Jude Baroch mit seiner Frau und einer Ziege erwähnt. [1]
1843 wohnten 28 Juden in Mehring; 1885 war mit 57 der Höchststand erreicht; Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wanderten immer mehr Juden in die Städte ab, vor allem die jungen, weil sie sich dort ein besseres Fortkommen erhofften; so sank die Zahl rapide; 1933 waren es nur noch 14; Ende 1938 gab es keine Juden mehr in Mehring, nachdem die letzten nach den Übergriffen in der Reichspogromnacht den Ort verlassen hatten.

2. Die jüdischen Familien und ihre wirtschaftliche und soziale Stellung

Über die berufliche und wirtschaftliche Situation der Juden in Mehring hier ein kleiner Überblick:

Um 1800 waren Mayer Schweich (1745–1838), sein Sohn Götschel Schweich (1783–1868) und Samuel Lieser (1773–1815) die wohlhabendsten Juden in Mehring. Mayer Schweich war Eigentümer, Handelsmann und Ackerer, d.h. er besaß Immobilien, Häuser und landwirtschaftliche Flächen. Er war einer der drei reichsten Juden des Saardepartements. Zwischen 1809 und 1813 war er der reichste Jude im Arrondissement Trier. [2]

Die Juden in Mehring waren überwiegend Händler, vor allem Viehhändler.

In engem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Beruf des Viehhändlers stand der des Metzgers und des Gerbers. Der Metzger führte hin und wieder einen eigenen Fleischerladen. Er verkaufte sein koscheres Fleisch jedoch nicht nur an seine Glaubensbrüder, sondern auch an Nichtjuden.
Metzger in Mehring waren: Daniel Dany (1770–1829), Schmul Lieser (1773–1815), Daniel Ermann (1841– 1932) und Eduard Emil Günther (*24.09.1901, 1937 Emigration nach Argentinien).

Für die Bearbeitung der Tierhäute zu Leder war der Rotgerber zuständig; diesen Beruf übte man in der Familie Lieser aus, und zwar Samuel Juda Lieser (1802–1892) sowie seine Söhne Simon (1837–1892), Isaak (*1839) und Moses (*1842), sein Sohn Gottschalk war Lederhändler.

Wichtig war auch der Beruf des Bäckers, z, B. wegen des Backens von Matzen.
Den Beruf des Bäckers übten aus: der Bäckermeister Daniel Levy Lieser (1842–1933) und sein Sohn Emil (1884–1922).

Geschäfte gab es für Backwaren, Kolonialwaren, Schuhe und Schreibwaren:
Ludwig Lieser (*05.07.1876) besaß ein Schuhgeschäft, das er 1938 verkaufte. [3]

Emil Lieser (1884–1922) führte mit seiner Frau Ottilie geb. Richard ein Back- und Kolonialwarengeschäft; nach Emil Liesers Tod heiratete Ottilie Lieser Moritz Klepper, mit dem sie das Geschäft weiterführte. Auf einer Postkarte aus den 1930er-Jahren ist das Geschäft zu sehen, darunter steht: „Manufaktur- und Kolonialwaren von S. Lieser-Cahen“.

Wilhelm Marx (*04.02.1907 Mehring) besaß eine Buchdruckerei, daneben ein Ladengeschäft mit Schreibwaren und Schulbüchern.

In Mehring gab es jedoch auch arme Juden, wie Tagelöhner und Hausierer.

3. Die Organisation der Gemeindeangelegenheiten

Die jüdische Gemeinde in Mehring wurde geleitet vom Vorsteher und seinen gewählten Vorstandsmitgliedern, die verschiedene Ämter ausübten. Der Vorsteher war verantwortlich für die religiösen, wirtschaftlichen und sozialen Belange der Gemeinde, d. h. von der Gemeinde „die Mittel für die Personalkosten für Lehrer und Vorbeter, für Synagoge [bzw. Bethaus], Schule und Friedhof aufzubringen.“ [4]

Als Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Mehring sind bekannt:

1886/87: M[oses] Lieser
1893: Lieser-Cahen
1909: Samuel Lieser
1913: Gottfried Schömann
1925: Josef Marx
1932 : Leo Lieser ]

4. Die Synagoge

Religiöser Mittelpunkt der jüdischen Gemeinde war die Synagoge. Sie stand in der Nähe der Kirche. Nachdem in den Jahren nach 1933 die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder schnell zurückgegangen und alsbald die notwendige Zahl von zehn jüdischen Männern zum Abhalten eines Gottesdiensten nicht mehr zusammenkam, wurde die Synagoge geschlossen.

Nach der Reichspogromnacht vom 09./10. November 1938, in der die Synagoge geschändet worden war, wurde das Gebäude von der Gemeinde für 2.500 Reichsmark aufgekauft, mit staatlichen Zuschüssen zum Kinderheim umgebaut und der NS-Volkswohlfahrt zur Verfügung gestellt. 1939 zog der Kindergarten ein. Nach dem Krieg war hier die Pfarrbücherei untergebracht und im Jahre 2000 wurde das Gebäude an einen Privatmann verkauft. [5]

5. Schule und Unterricht

Wichtig für die Erziehung der Kinder waren und sind Schule und Unterricht.

1816 wurde von den Preußen die allgemeine Schulpflicht eingeführt, auch für jüdische Kinder; doch besuchten nur die wenigsten, jüdische wie christliche, die Schule. Das änderte sich erst langsam. In einer Verordnung der preußischen Rheinprovinz in Koblenz vom 13.09.1824 wurde der Unterrichtsbesuch der jüdischen Kinder festgelegt: entweder mussten sie eine der bestehenden christlichen Schulen des Wohnortes oder eine eigene jüdische Gemeindeschule besuchen oder von einem Privatlehrer unterrichtet werden. [6]

In Mehring besuchten die jüdischen Kinder – außer am Sabbat und an jüdischen Festtagen –die katholische Elementar- bzw. Volksschule. Über deren Anzahl gibt es nur wenige Hinweise.

Einen zeitlich begrenzten Einblick über die Anzahl der jüdischen schulpflichtigen Kinder, die die christliche Elementarschule besuchten, haben wir aus den Jahren 1848 bis 1880: die Zahlen schwanken zwischen 8 (1848) und 16 (1880). [7]

Der jüdische Lehrer war in Mehring lediglich Religionslehrer. Der Raum für den Religions-unterricht der jüdischen Kinder befand sich im Obergeschoss der Synagoge. Der Unterricht beschränkte sich im Wesentlichen auf die religiöse Unterweisung der Kinder: auf das Lernen der wichtigsten Gebete für den Gottesdienst, auf die biblische Geschichte der Juden, die Glaubens- und Pflichtenlehre und das Lernen der Feste, den Jahreskreis und den damit notwendig verbundenen Unterricht in den Grundzügen der hebräischen Sprache. War kein Religionslehrer da bzw. konnten sich die Eltern keinen leisten, fiel der Unterricht aus oder die Eltern unterrichteten ihre Kinder selbst.

6. Der Friedhof

Eine der wichtigsten Einrichtungen einer jüdischen Gemeinde ist auch der Friedhof, denn eine Bestattung auf einem Friedhof, der gleichzeitig von Nichtjuden genutzt wird, war und ist für sie nicht möglich. Der Friedhof wurde stets außerhalb des Ortes angelegt, das hat u. a. seinen Grund darin, dass die Wohnungen der Toten und die der Lebenden – nach kultischem Reinheitsgebot – voneinander zu trennen sind. Durch das Neubaugebiet „Zellerberg“ ist der Friedhof heute in den Wohnbereich des Ortes gerückt.

Der Friedhof ist ein Ort der ungestörten Ruhe für die Toten, und zwar für ewige Zeiten. Sowohl das einzelne Grab als auch der Friedhof sind unantastbar, sind dauerhafte Heimat des Verstorbenen.

Zur Sicherung der Totenruhe muss der Friedhof mit einer Mauer, zumindest mit einer Hecke, symbolisch umschlossen sein.

Der Friedhof darf nicht am Sabbat und an jüdischen Feiertagen besucht werden, weil diese Tage als Freudentage und nicht als Trauertage begangen werden sollen.

Anders als bei christlichen Friedhöfen legen die Angehörigen keine Blumen, sondern kleine Steine auf den Grabstein. Der Brauch soll vom Auszug der Israeliten aus Ägypten herrühren, als die Gräber der in der Wüste Bestatteten mit Steinen (z. B. vor Tieren) geschützt wurden. [8]

Wann der 403 qm große jüdische Friedhof in Mehring angelegt wurde, wissen wir nicht. Da der Friedhof, abgesehen von einzelnen Sockeln, heute ohne Grabsteine ist, können keine Grabinschriften einen Hinweis auf die hier ruhenden Toten und den Zeitpunkt ihrer Beerdigung geben.

Wenn in Mehring auch keine Grabsteine mehr erhalten sind, so gilt das Gräberfeld doch als für alle Zeiten belegt.

Wie mir gesagt wurde, sollen Eisengitter und Einfriedung, auch Grabsteine des Friedhofs, beim Bau einer Panzersperre verwendet worden sein. Und noch in den 1960er Jahren sollen im Bach Grabsteine gelegen haben, die jemand für den Bau seiner Scheune habe benutzen wollen.

Laut Schreiben des Oberfinanzpräsidenten in Köln vom 29.10.1943 gingen alle jüdischen Friedhöfe in den Besitz des Reiches über. Die Friedhofsgrundstücke konnten ab sofort verkauft werden, ebenso die Grabsteine und die Grabeinfassungen.

Der Kaufpreis für den Friedhof in Mehring wurde vom Finanzamt Trier auf 70 RM angesetzt, jedoch fand sich zunächst kein Käufer. [9] Mit Datum vom 27.05.1944 ging er in den Besitz der Gemeinde Mehring über. [10]

Nach dem Zweiten Weltkrieg, laut Schreiben des Finanzamtes Trier vom 29.4.1947, wurde der Friedhof in Mehring vom Finanzamt Trier verwaltet. [11]

1949 klagte der Rechtsanwalt Dr. Voremberg als Vertreter der Jüdischen Kultusvereinigung Trier beim Landgericht Trier die Rückgabe des jüdischen Friedhofs in Mehring ein, der mit Datum vom 01.06.1950 in den Besitz der Jüdischen Kultusgemeinde Trier überging, die heute

Eigentümer des Friedhofs ist. Die Gemeinde Mehring hat die Aufgabe, ihn instand zu halten. Irgendwelche Veränderungen darf sie jedoch nicht eigenständig vornehmen.

2016 wurde der Friedhof im Rahmen der Erschließung des Neubaugebietes „Zellerberg“ von Grund auf saniert und eine Gedenktafel angebracht:

Zur Erinnerung an
unsere verstorbenen
jüdischen Mitbürger
Den Lebenden als
Mahnung
Ortsgemeinde Mehring
2016

7. Das selbstverständliches Miteinander

Zum Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden kann man sagen, dass es von einem selbst-verständlichen Miteinander geprägt war; sie lebten mit- und nebeneinander, die Juden waren mehr oder weniger ins Dorfleben integriert. Eduard Emil Günther war z. B. im Mehringer Fußball- und Gesangverein. [12]

Bei Familienfeiern, z. B. bei einer Hochzeit, luden sich befreundete Familien ein. War ein Jude gestorben, so war es für die christlichen Nachbarn und Freunde selbstverständlich, mit den Trauernden hinaus auf den Friedhof zu ziehen, wie es für die Juden selbstverständlich war, einen verstorbenen Christen auf seinem letzten Weg zu begleiten. Im Nachruf auf Wilhelmina Schweich in „Der Israelit“ vom 25. Mai 1893: Sie war „wegen ihrer Tugend bei allen Konfessionen sehr beliebt, wovon der endlose Leichenzug das beste Zeugnis ablegte.“ Christen zündeten am Sabbat ihren jüdischen Nachbarn das Feuer an; die sogenannten „Sabbatmädchen“ bekamen dann als Belohnung einen Mazzen.
Diese positiven Seiten des Verhältnisses zwischen Juden und Christen, das selbstverständliche Miteinander, wurde und wird in Gesprächen mit Zeitzeugen immer wieder hervorgehoben, sowohl von jüdischer als auch von nichtjüdischer Seite. Aber es gab auch die andere Seite.

8. Vorurteile und Konflikte

8.1 Vorurteile

Es gab vor allem religiös geprägte Vorurteile. Der bekannteste Vorwurf der Christen war der, die Juden trügen die Schuld am Tode Jesu.
Auf Unverständnis bei der christlichen Bevölkerung stießen einige religiöse Vorschriften der Juden, so z. B. dass man beim Gebet eine Kopfbedeckung trug.
Man trifft in Gesprächen mit älteren Menschen auch hin und wieder auf abergläubische Vorstellungen: Als Isaak Günther in den Stall eines Mehringer Bauern kam, soll der gesagt haben: „Bleib aus meinem Stall, du hast mir meinen ganzen Stall verhext!“

8.2 Konflikte

Es kam auch immer wieder zu Konflikten, wozu vor allem Viehhandel und Geldverleih Anlass boten. Hauptvorwurf gegen die Juden war: sie seien Diebe, Schacherer und Wucherer und nutzten die Notsituation derjenigen aus, die auf den Handel mit ihnen und ihren Geld- verleih angewiesen seien.

Jüdische Kleinhändler machten auf dem Lande schon früh Kreditgeschäfte, ähnlich den Bankiers in den Städten. Da die nichtjüdischen Händler offenbar nicht bereit oder in der Lage waren, den Bauern günstige Kredite einzuräumen, schlossen diese gerne mit jüdischen Händlern Verträge, da sie ohne deren Zahlungserleichterungen kaum ein Stück Vieh kaufen konnten.

Johann Franz Kowastch, von 1884–1907 Pastor in Mehring, berichtet auch für Mehring von diesem Viehverleih, wie wir aus seinem Bericht an den „Trierischen Genossenschafts-Verband“ erfahren. Der Pfarrer hatte im Herbst 1896 den Mehringer „Winzerverein als eingetragene Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht“ gegründet, weil in jedem Herbst von den „kleinen“ Winzern geklagt wurde, wie sie „ausgewuchert“ würden: von Juden, vereinzelten christlichen Mitbürgern, Bauern aus Longuich-Kirsch und Pölich, einem Mehringer Küfer und einem einflussreichen Mehringer Wirt. Diese stünden zusammen und hätten sich schon vor der Ernte über den Preis geeinigt, der für die „kleinen Winzer“ zu gering sei. Dieser „Traubenwucher“ habe eine große Erbitterung der „kleinen“ Leute gegen ihre „besser situierten Mitbürger“ zur Folge. Ferner führe sie zu einer großen Verschuldung der kleinen Leute, die „den Juden nicht mehr aus den Klauen kommen konnten“; die meisten Kühe in Mehring seien sogenannte „Lehnskühe“, die dem „Wucherjuden“ gehörten. [13]

Die Genossenschaften, hier der vor allem in unserer Region viel gelobte, aber antisemitisch eingestellte „Trierische Bauernverein“ des Georg Friedrich Dasbach, brachten den Bauern und Winzern zwar Vorteile, doch konnten viele ärmere Bauern und Winzer nicht die nötige Bürgschaft leisten, um überhaupt Geld geliehen zu bekommen. So waren sie immer noch auf den jüdischen Viehhändler angewiesen.

9. Die NS-Zeit

9.1 Übergriffe gegen Juden

Mit der sog. „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten begann die Ausgrenzung und Entrechtung der Juden.

Als am 01.04.1933 zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen wurde, zogen auch in Mehring SA-Posten vor den jüdischen Geschäften auf, um die Kunden am Betreten zu hindern. Am Boykotttag, einem Sonntag, so wird berichtet, habe ein SA-Mann vor der Kirche gestanden mit einem Schild auf der Brust: Kauft nicht bei Juden! Und an diesem Tag habe ein „arisches Geschäft“ ein Schild im Fenster stehen gehabt, auf dem gestanden habe: Ein deutsches Kaufhaus.

Auch der Teil der Bevölkerung, der nicht parteipolitisch gebunden war oder dem Regime ablehnend gegenüberstand, sah dem tatenlos zu bzw. musste tatenlos zusehen, denn sich für die Juden einzusetzen war in dieser Zeit (lebens)gefährlich, wie die Anzeige gegen den Mehringer Fischereimeister Julius Bayer und dessen Sohn Karl zeigt. Der hatte am 29.12.1937 mit dem Auto seines Vaters das Ehepaar Isaak und Sara Günther geb. Lieser und ihre Tochter Klara mit ihrem Bräutigam nach Trier gefahren, wo sie an diesem Tag heirateten. Ferner hatte sein Vater der ihm gut bekannten jüdischen Familie Günther zu dieser Hochzeit Fische geliefert.

Vater und Sohn wurden angezeigt, der jüdischen Familie geholfen zu haben. Im Laufe der nun folgenden Auseinandersetzung mit umfangreichen Zeugenbefragungen wurde der Fischermeister auf Beschluss der Kreisleitung all seiner Ämter enthoben: als Mitglied des Beirats der Landesbauernschaft, als Vertrauensmann der Berufsfischer und als Landesfachschaftswart. [14]

Im „Stürmer“ vom Februar 1938 heißt es dazu u. a.: „Du siehst also, lieber Stürmer, dass es noch Leute gibt, die jüdischer Silberlinge wegen immer noch mit Juden zusammenarbeiten. Diesen sonderbaren Leuten allmählich beizubringen, was es heißt, Deutsche zu sein und sie zu lehren, welche Pflichten heute ein Deutscher hat, das wird unsere Aufgabe sein.“

Und dieser Aufgabe widmeten sich nun einige NS-Anhänger in Mehring.

In einer eidesstattlichen Erklärung vom 9. März 1956 in Johannesburg gibt Wilhelm Marx (*04.02.1907 Mehring) Auskunft über die Schikanen in der NS-Zeit und seine Auswanderung nach Südafrika:

Vom 15. Dezember 1930 an habe er einen Buchdruckereibetrieb als selbstständiger Buchdrucker in Mehring unterhalten, daneben noch ein Ladengeschäft mit Schreibwaren und Schulbüchern. Vom 1. April 1933 an, dem bekannten Boykott-Tage, habe sein Geschäft unter dem Juden-Boykott zu leiden gehabt. „Mehring war nur ein kleiner Platz, in welchem sozusagen jeder jeden kannte. Dadurch wurde der Judenboykott strikt durchgeführt, da sich meine Kunden fürchteten, meine Geschäftsräume zu betreten.“ Durch die Verfolgung sei er gezwungen gewesen, sein Geschäft „zu einem Preis zu veräußern, der nicht einmal den Wert der Buchdruckereimaschinen deckte.“ [15]

Eduard Emil Günther berichtet anlässlich seiner Entschädigungsansprüche beim Amt für Wiedergutmachung: „Ich war Mitglied des Gesangsvereins in Mehring sowie des Sportklubs und des Fußballklubs dort. Mit meinen Freunden und Kameraden habe ich die beste Freundschaft immer gehalten.

Ich bin angezeigt worden von einem Herrn F., der Ortsgruppenleiter der NSDAP war. Er setze mir zu, wo immer er konnte, geschäftlich und persönlich, sodass meine Freunde Angst hatten, mit mir zu sprechen oder überhaupt mit mir Kontakt zu halten. SA-Leute überfielen mich mehrmals und misshandelten mich in brutaler Weise, ohne dass ich irgendetwas daran tun konnte.“ [16]

9.2 Die Reichspogromnacht in Mehring

Der Novemberpogrom 1938 markiert den Höhepunkt der Übergriffe gegen die Juden und ihr Eigentum.

Man vermutet, dass die SA aus der Region Schweich in Mehring gegen die jüdische Bevölkerung vorging. In der Tat waren es vielfach SA-Männer aus anderen Dörfern, die die „Aktion“ gegen die Juden durchführten, wie wir es auch aus anderen Orten her kennen. Die einheimischen SA-Größen genierten sich zunächst. Doch machten auch sie schließlich mit. Sie drangen gewaltsam in die Häuser der Juden ein, warfen Hausrat und Möbel auf die Straße, zerstörten die Schaufenster von jüdischen Geschäften und das Innere der Synagoge.

Frau K. aus Mehring berichtet: Else Lieser (*22.03.1906 Mehring), die schwanger war, sei von einem SA-Mann die Treppe runtergeworfen worden; dann sei sie nebenan in das Haus der Familie Herber gelaufen, wo sie auf dem Heustall versteckt wurde.

Auch die Familie Schroeder Adam, so Frau K., habe die Eheleute Lieser im Haus versteckt, so seien sie nicht gefunden worden. Später seien sie dann zu ihrer Schwester im Bereich von Trier gezogen.

Regina Marx, *26.08.1870, ✡23.06.1954 Johannesburg, oo Josef Marx (1876–1927), stellt laut Bezirksamt für Wiedergutmachung in Trier vom 07.08.1953 den Antrag auf Erstattung von Schäden, die ihr in der Reichspogromnacht entstanden sind, mit folgender Begründung: „Am 9. November 1938, am Tag des Pogroms, wurde meine Wohnung von den Nazis demoliert und sämtliche Wohnungseinrichtungsgegenstände wurden aus den Fenstern geworfen, meine sämtlichen Papiere zerrissen und auf die Straße geworfen, und mein Geld (ca. RM 300.-) gestohlen. Ich hatte eine Porzellanversteigerung im Juni/Juli 1938, die einen Erlös von RM 1.400.- erbrachte. Dieses Geld wurde von der Kreissparkasse Trier eingezogen und mir nicht ausgehändigt. […]

In der Nacht vom 9. November 1938 überfielen vier oder fünf mir unbekannte Männer mich und meine Tochter [Karoline] um ca. 11 Uhr nachts, und es gelang uns zu entkommen und uns in einem hinter dem Haus liegenden Stall zu verbergen. Wir sind nicht in das Haus zurückgekehrt, sondern suchten Zuflucht bei Verwandten.“ [17]

9.3 Emigration Mehringer Juden [18]

Ermann, David, *31.03.1876 Mehring, war verheiratet mit Fanny Nussbaum, *04.11.1876 Malberg, die am 09.01.1939 in Luxemburg starb; nach dem Tode seiner Frau emigrierte er in die USA, er starb am 02.01.1960 in Chicago.

Günther, Isaak, *11.10.1867 Burgen und seine Frau Sara geb. Lieser (*14.03.1868) emigrierten nach Buenos Aires, Argentinien. Aus den Restitutionsakten aus dem Jahre 1952 geht hervor, dass ihre Kinder Eduard (*24.09.1901 Mehring) und Ella (*03.01.1908 Mehring) ebenfalls in Buenos Aires wohnten, ihre Tochter Klara (*30.12.1913 Mehring) in den Niederlanden und später in Johannesburg/Südafrika.

Günther, Eduard Emil, *24.09.1901 Mehring, Metzger, im Dezember 1937 von Le Havre mit dem Dampfer „Aurigny“ nach Buenos Aires, dort zunächst Arbeit in einer Schokoladen-fabrik, dann ab 1943 Inhaber eines Milchladens. [19]

Klepper, Ottilie geb. Richard, *20.10.1895 Trittenheim, Witwe des Emil Lieser (1884–1922 Mehring), heiratete – nach dem Tode ihres Mannes – Moritz Klepper, *03.11.1887 Berlin. Bevor sie in die USA auswanderten, verkauften sie 1937 Äcker und Wiesen und 1938 ihr Haus in der Kirchgasse und ihren Garten. Das Ehepaar lebte in Chicago. Moritz/Morris Klepper starb 25.02.1958 [20], seine Frau Ottilie am 05.07.1970.

Lieser, Elsa, *22.03.1906 Mehring, Erna, *12.09.1907 Mehring und Hildegard/Hilde, *10.09.1909 Mehring, die Töchter des Ludwig Lieser und der Bertha Lewy, emigrierten nach Südafrika: Elsa lebte nach ihrer Heirat mit Kurt Kallmann und ihren Kindern in Leavenworth/Kansas; Erna starb 1980 in Johannesburg/Südafrika und Hilde, verheiratet mit Willi Marx, 1988 in Johannesburg/Südafrika. [21] Ihre Eltern, Ludwig und Bertha Lieser, wurden 1941 ins KZ Majdanek deportiert und später für tot erklärt.

Lieser, Hermann, *30.04.1871 Mehring, Sohn des Simon Lieser und der Magdalena geb. Lewy, emigrierte in die USA. [22]

Marx, Regina geb. Salomon (*26.08.1870 Lieser, ✡23.06.1954 Johannesburg/Südafrika), Witwe des Josef Marx-Salomon (1876–23.08.1927), emigrierte mit ihrer Tochter Karoline, *24.02.1903 Mehring, oo Max Reiß, und ihrem Sohn Wilhelm (*04.02.1907 Mehring, ✡24.03.1967 Johannesburg) und dessen Frau Hildegard geb. Lieser (*10.09.1909 Mehring, ✡1988 Johannesburg) nach Johannesburg/Südafrika.

9.4 Opfer des Holocaust aus Mehring:

Die folgenden Angaben über die Personen, die in Mehring geboren und/oder dort längere Zeit gewohnt haben, nach:

1.Verzeichnis der jüdischen Einwohner der Stadt Trier. November 1938–Juni 1943 (in: Dokumentation, Bd. 7, S. 207–26).

2. Trier vergisst nicht. Gedenkbuch für die Juden aus Trier und dem Trierer Land. Hrsg. vom Stadtarchiv Trier, Trier 2001, zitiert: Trier vergisst nicht.

3. Liste der am 22. März 1942 aus der Stadt- und dem Landkreis Koblenz evakuierten Juden,in:

Dokumentation, Bd. 7, S. 267 und 269 sowie Chronik der Deportation von Juden aus Koblenz und Umgebung. Deportation am 22. März 1942 (Internet).

4. Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, zitiert: Gedenkbuch

5. alemannia-judaica.de/mehring_synagoge.htm

(Angaben in alemannia-judaica nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und des “Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945“.)

6. db.yadvashem.org/names/search.html?language=en

7. Hinweise von Herrn Wolfgang Appell, Erlangen.

Bermann, Rosa/Rosalie geb. Lieser, *04.01.1875 Mehring, oo Heinrich Bermann, *17.08.1872 Weißenthurm, Wohnort: Linz am Rhein, Mühlengasse, Deportation ab Trier-Köln am 27.07.1942 nach Theresienstadt; Todesdatum-ort: 05.09.1942 Theresienstadt ( siehe Gedenkbuch).

Bloch, Sophie, geb. Ermann, * 20.01.1880 Mehring, oo 27.05.1903 Grosblieders-troff/Lothringen Samuel Bloch aus Grosbliederstroff, wohnhaft in Saarbrücken, am 24.09.1935 nach Frankreich, am 04.11.1942 vom Lager Drancy [23] nach Auschwitz deportiert.

Ermann, David * 30.10.1905 Mehring, wohnhaft in Berlin, 02.03.1940–02.09.1940 Sachsen-hausen, 03.09.1940–07.11. 1940 Dachau, Todesdaten: 07.11.1940 Dachau (siehe Gedenkbuch).

Ermann, Emilie geb. Marx, *03.08.1877 Trier, Frau des Moritz Ermann, am 16.10.1941 nach Litzmannstadt (Lodz) deportiert, am 15.04.1942 in Chelmo (Kulmhof) ermordet (siehe Trier vergisst nicht, im Gedenkbuch nicht aufgeführt).

Ermann, Klementine * 13.09.1900 Mehring, nicht verheiratet, Tochter des Josef Ermann und der Berta Marx, Aufenthalt während des Krieges: Köln, Todesdatum 1942, ermordet (siehe: db.yadvashem.org/names/search.html?language=en, im Gedenkbuch nicht aufgeführt).

Ermann, Gustave *25.03.1869 Mehring, Sohn des Leonard Ermann und der Juliane Ermann geb. Ermann, oo Henriette N. N., ständiger Wohnsitz: Luxemburg, am 22.10.1940 von Luxemburg nach Frankreich deportiert, im KZ ermordet (siehe db.yadvashem.org/names/search.html?language=en, im Gedenkbuch nicht aufgeführt.)

Ermann, Rosa geb. Levy, *04.10.1881Leiwen, Frau des Salomon Ermann, *11.07.1870 Mehring, am10.05.1942 von Theresienstadt nach Kulmhof (Chelmno) deportiert und noch am selben Tag durch Autoabgase ermordet (siehe Familien-Buch Klüsserath Nr. 327, vgl. Lodz-names. List oft the Ghetto inhabitants 1940-1944, p. 535).

Günther, Karl, *06.04.1903 Mehring, Sohn des Isaak Günther und der Sara Lieser, wohnhaft in Köln, Emigration nach Belgien, ab Mechelen (Malines) am 15.08.1942 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet (siehe Gedenkbuch und db.yadvashem.org/names/search.html?language=en).

Hanau, Emilie geb. Marx * 18.08.1910 Mehring, Wohnort: Saarlouis; vom französischen Sammellager Drancy am 18.09.1942 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet (siehe Gedenkbuch und db.yadvashem.org/names/search.html?language=en.) Aufenthalt während des Krieges: Chaunay, Département Vienne, Frankreich; ihr Mann Jules/Yoel Hanau hat überlebt, denn er gibt die obigen Daten dem Archiv in Yad Vashem an.

Isay, Adolf *12.01.1880 Mehring, wohnhaft in Essen, Deportation: ab Düsseldorf am 27.10.1941 nach Litzmannstadt/Lodz, im September 1942 ins Vernichtungslager Kulmhof/Chelmno (siehe Gedenkbuch).

Isay Luise, verheiratete Schützendorf, *22.11.1888 Mehring, Witwe, Wohnsitz: Köln, an unbekanntem Datum nach Trier, an unbekanntem Datum deportiert, in Riga ermordet (siehe Trier vergisst nicht und db.yadvashem.org/names/search.html?language=en, im Gedenkbuch nicht aufgeführt).

Levy, Ernest *17.06.1894 Mehring; am 12.08.1942 von Drancy/Frankreich mit Transport 18 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet (siehe db.yadvashem.org/names/search.html?language=en, im Gedenkbuch“ nicht aufgeführt).

Lieser, Emil *01.09.1879 Mehring, Sohn des Simon Lieser, letzte Adresse 1942: Bendorf-Sayn, Hindenburgstr. 49 (siehe Liste der am 22. März 1942 aus der Stadt- und dem Landkreis Koblenz evakuierten Juden); Deportation 1942 nach Izbica/Polen (= Durchgangslager für Juden-Transporte von Litzmannstadt /Lodz in die KZs nach Belzec, Majdanek, Sobibor und Treblinka).

Lieser, Ludwig *05.07. 1876 Mehring, wohnhaft in Fahr, und seine Frau Bertha geb. Lewy, *28.07.1881 Aach, wurden1941 ins KZ Majdanek deportiert und später für tot erklärt (siehe Gedenkbuch).

Lieser, Moritz/Maurice, *31.03.1882 Mehring, später wohnhaft in Saarbrücken und Pirmasens, emigrierte über Luxemburg am 05.02.1935 nach Frankreich, am 04.03.1943 von Drancy ins KZ Majdanek deportiert (siehe Gedenkbuch und db.yadvashem.org/names/search.html?language=en).

Lieser, Bertha, verh. Mendels, *16.03.1878 Bernkastel und Lieser, Sigmund, *25.04.1882 Bernkastel, Tochter bzw. Sohn der Eheleute Heinrich Lieser aus Mehring und der Sybille Herz aus Dieblich, wohnhaft in Bernkastel, wurden am 08.05.1945 für tot erklärt.

Marx, Moritz *11.01.1881 Mehring, während des Krieges in Berlin, Deportation ab Berlin am 15.08.1942 mit Transport Da 401 nach Riga, Todesdaten: 18.08.1942, Riga
(siehe Gedenkbuch).

Oster, Melanie geb. Lieser * 16.03.1880 in Mehring, letzte Adresse 1942: Koblenz, Görgenstr. 31 (siehe Liste der am 22. März 1942 aus der Stadt- und dem Landkreis Koblenz evakuierten Juden; dort wird als Geburtsdatum der 13.03.1881 angegeben ); Deportation am 22.03.1942 nach Izbica/Polen.

10. Rückerstattung und „Wiedergutmachung“

Obwohl viele deutsche Politiker damals von der moralischen Verpflichtung der Deutschen zur Wiedergutmachung überzeugt waren, konnte man sich sowohl aus psychologischen als auch aus politischen und wirtschaftlichen Gründen nur sehr schwer über ein Wiedergutmachungs-gesetz einigen.

Erst auf Druck der Besatzungsmächte wurde am 10.11.1947 das sogenannte Rückerstattungs-gesetz in den drei Westzonen verkündet, ein erster Schritt auf dem Wege der Wiedergut-machung; den vorläufigen Abschluss bildete das Bundes-Rückerstattungsgesetz vom 19.07.1957. Das Geld, das die für die Wiedergutmachung eingerichteten Organisationen sowohl von den Länderregierungen und der Bundesregierung als auch von Einzelpersonen bekamen, und zwar auf dem Vergleichs- und Gerichtsweg, wurde direkt an Einzelpersonen, aber auch an jüdische Hilfs- und Wohlfahrtsorganisationen weitergegeben, die es dann verteilten. Ein großer Teil floss nach Israel und wurde für den Aufbau des neuen Staates und die Eingliederung der zahlreichen Einwanderer verwendet.

In Mehring kam es zu zahlreichen Nachforderungen ehemaliger Mehringer Juden, wie aus der Aktenlage im Landeshauptarchiv in Koblenz hervorgeht. Da die meisten dieser Akten noch auf Jahre hinaus gesperrt sind und nur mit einer Genehmigung, die zur Anonymisierung verpflichtet, eingesehen werden konnten, dürfen die Namen der Käufer auch hier nicht genannt werden, um noch eine nachträgliche Verurteilung zu vermeiden.

Hier lediglich ein Beispiel für Rückerstattung bzw. „Wiedergutmachung“:

Isaak Günther (*11.10.1867 Burgen) und seine Ehefrau Sara geb. Lieser (*14.03.1868 Mehring), nach Argentinien ausgewandert, klagen 1949 gegen einige Mehringer Bürger wegen Rückerstattung von Grundbesitz: eine Wiese, die 1936 in Weinbergsgelände umgewandelt wurde, ferner eine weitere Wiese und Holzung. [24]

Ihre drei Kinder – Eduard Emil (*24.09.1901 Mehring), Ella (*03.01.1908 Mehring), und Klara (*30.12.1913 Mehring), führten die Klage ihrer Eltern weiter. Es ging

1. um Landparzellen, die sie 1938 – so die Begründung – „unter Druck der damaligen Judenverfolgung“ an Mehringer Bürger verkauft hatten.

Die meisten Verfahren wegen dieses Besitzes endeten mit einem Vergleich; die jetzigen Besitzer hatten – je nach Verfahrenswert und den wenigen einsehbaren Akten – zwischen 50 DM und 400 DM plus angefallene Gerichtskosten zu zahlen.

2. um ein Einfamilienhaus mit Scheune, Stall, Garten und Nebengebäuden, das laut notariellem Vertrag von einem Mehringer am 20.05.1938 erworben worden war. Vergleich vom 10.05.1952: 1.000 DM Nachzahlung und die nach einem Streitwert von 4.000 DM zu berechnenden Kosten des Verfahrens. [25]

Viele, die von der Rückerstattung des von Juden erworbenen Eigentums betroffen waren, fühlten sich durch die Nachforderungen ungerecht behandelt, waren sie doch überzeugt, das jüdische Eigentum rechtmäßig erworben und den Juden zu dem nötigen Geld für die Flucht ins Ausland verholfen zu haben. Dazu kam noch, dass sie in den Jahren des Wiederaufbaus nach dem Krieg das Geld selbst nötig brauchten.

Die Bundesregierung, die diese Härtefälle anerkannte, gab dem betroffenen Personenkreis die Möglichkeit, das Geld, das dieser im Rahmen der Wiedergutmachung nachzuzahlen hatte, von der Bundesregierung wieder zurückzufordern, und zwar auf der gesetzlichen Grundlage des Rückerstattungsgesetzes vom 19.01.1957 bzw. des Kriegsfolgegesetzes vom 08.11.1957, das am 1.1.1958 in Kraft trat. Inwieweit das die Betroffenen in Mehring in Anspruch genommen haben, ist mir nicht bekannt.

11. Begegnungen und Erinnerungen

Nach dem Krieg kam es vereinzelt zu persönlichen Begegnungen und Briefkontakten zwischen ehemaligen Mehringer Juden und befreundeten Familien. Leider ist über diese Begegnungen bisher wenig in Erfahrung zu bringen. Es sind nach meinen Recherchen auch kaum Briefe mehr erhalten, die Auskunft über das Schicksal der ehemaligen Juden und ihre Erinnerungen an ihre alte Heimat Mehring geben könnten.

Die Begegnung der Juden mit ihrem Heimatort nach dem Krieg waren – wie in allen anderen Orten auch – zwiespältig. Einerseits freuten sie sich auf die Begegnung mit denen, die ihnen in der NS-Zeit nicht feindlich gesinnt waren und ihnen geholfen hatten, andererseits hatten sie das beklemmende Gefühl, nicht erwünscht zu sein, weil sie die Ortsbewohner an ihr Fehl-verhalten in der NS-Zeit erinnerten.

Claude Schloß, der 1962 mit seiner Familie Leiwen besuchte, schrieb mir: Man habe ihn sehr freundlich in der Familie aufgenommen, die damals ihr Haus gekauft habe; auch im Dorf sei man ihm freundlich begegnet; doch habe er das Gefühl nicht los werden können, dass man ihn lieber vom Rücken gesehen hätte.

Die Juden, die in ihre alte Heimat zurückkehren, lieber „vom Rücken“ zu sehen, d. h. froh zu sein, wenn sie wieder weg sind, ist menschlich verständlich. Wird man doch unangenehm an sein Fehlverhalten in der NS-Zeit erinnert.

Aber, man darf das Unrecht und die Verbrechen der NS-Zeit nicht verdrängen, sondern muss sich ihnen stellen. Vieles, sehr vieles ist aufgearbeitet. Wer will, kann sich informieren. Doch es ist auch wichtig, die Geschichte einer kleinen jüdischen Gemeinde, wie die in Mehring, aufzuarbeiten, damit sie nicht vergessen wird. Sie ist im Kleinen ein Spiegel dessen, was draußen im Großen geschehen ist.

Oder – wie der saarländische Schriftsteller Alfred Gulden es ausdrückt: „Wer in seinem Winkel nichts sieht, der sieht auch in der Welt nichts.“

 

Quellen

1
Stadtarchiv Trier, L10/12: Amt Pfalzel.
2
Cilli Kasper-Holtkotte: Juden im Aufbruch. Zur Sozialgeschichte einer Minderheit im Saar-Mosel-Raum um 1800. Hannover 1996, S. 332.
3
Landeshauptarchiv Koblenz (im Folgenden zitiert: LHAK), Best. 442: Landratsamt Bernkastel, Nr. 10961, S. 15.
4
Richard Laufner: Die Geschichte der jüdischen Bevölkerung im Gebiet desheutigen Kreises Trier-Saarburg 1979, S. 171.
5
Nach: Dittmar Lauer:1250 Jahre Mehring. Ein Streifzug durch die Geschichte eines Winzerdorfes. Kell am See 2002, S. 82.
6
Dokumentation zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Rheinland-Pfalz und im Saarland von 1860–1945 (im Folgenden zitiert: Dokumentation). Hrsg. von der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz in Verbindung mit dem Landesarchiv Saarbrücken. Koblenz 1972 ff.. Bd. 3, S. 197.
7
Die Angaben zu den Jahren 1848–1853 in: LHAK, Best. 442, Nr. 212, S. 40 f., S. 124 f., S. 174 f., S. 218 f., S. 282 f., S. 354 f.); für 1880 nach Willi Körtels: Die jüdische Schule in der Region Trier. Hrsg. vom Förderverein Synagoge Könen e. V. Konz 2011. S. 113.
8
Nach Maria Wein-Mehs und Reinhold Bohlen: Der jüdische Friedhof in Wittlich. Wittlich 1992, S. 12 f.
9
LHAK, Best. 572, Nr. 17118.
10
Ebd.
11
In: „Dem Reich verfallen“ – „den Berechtigten zurückzuerstatten“. Enteignung und Rückerstattung jüdischen Vermögens im Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz 1938–1953. Bearbeitet von Walter Rummel und Jochen Rath. Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz. Band 96. Koblenz 2001, S. 462.
12
Landesamt für Finanzen – Amt für Wiedergutmachung Saarburg (zit. AfW), Aktennr.: 76239, Bd. I.
13
Bistumsarchiv Trier, Abt. 71,144 Nr. 55.
14
LHAK, Best. 662,3 Nr. 21.
15
Eidesstattliche Erklärung des Wilhelm Marx zum Schaden an Eigentum und Vermögen vom 9. März 1956 in Johannesburg. In: AfW Saarburg, Aktenn.: 130517.
16
Eidesstattliche Erklärung des Eduard Emil Günther, geb. am 24.09.1901 in Mehring, jetzt wohnhaft in Buenos Aires, Cramer 2442: Buenos Aires, 13. Mai 1964. In: AfW Saarburg. Aktennr.: 76239, Bd. II.
17
Obige Aussagen zur Reichspogromnacht in Mehring in: AfW Saarburg, Aktennr.: 252292.
18
Hinweise zur Emigration der Mehringer Juden:
Landesamt für Finanzen – Amt für Wiedergutmachung Saarburg.
OMEGA – Organisationsmedium für genealogische Anwendungen: Juden im Trierer Land. Zeitpunkt der Erstellung: 08.03.2013.
Verzeichnis der jüdischen Einwohner der Stadt Trier. November 1938–Juni 1943 (Dokumentation, Bd. 7, S. 207–26.
Hinweise von Herrn Wolfgang Appell, Erlangen.
19
AfW Saarburg, Aktennr.: 76239, B. I.
20
Siehe AUFBAU Nr. 10, 07.03.1958, S. 28: Todesanzeige.
21
Brief von Else Kallmann, Leavenworth/Kansas an Klara Herber-Denkel, Mehring vom 20.09.1990: „[…] Meine liebe Erna ist schon 10 Jahre tot und Hildegard 2 Jahre. Wir haben in Südafrika gelebt.“ –Briefkopie im Besitz von Frau Kollmann, Mehring.
22
LHAK Best. 655,39 Nr. 301.
23
Drancy, etwa 20 km nordöstlich von Paris, war zeitweilig Sammel- und Durchgangslager für etwa 65.000 überwiegend französische Juden, die mit der Bahn in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurden.
24
LHAK, Best. 572, Nr. 16627, Nr. 16726; Best. 540,2, Nr. 191, 193, 409, 425.
25
LHAK, Best. 540,2, Nr. 191,426, 962.