Juden in Vereinen und Gremien

Christen und Juden lebten in unserer Region niemals topographisch getrennt voneinander, vielmehr waren sie verstreut über das jeweilige Ortsbild, wohnten als Nachbarn teilweise auf engstem Raum mit- und nebeneinander. So war es selbstverständlich, dass Christen – in unserer Region fast ausschließlich katholische Christen – auch jüdische Freunde hatten, mit denen sie zusammen die Schulbank drückten, die sie zu Hause besuchten, mit denen sie spielten, später gemeinsam kegelten oder Feste feierten.

In der freiwilligen Feuerwehr, in Sport-, Gesangs- und anderen Vereinen kam man ebenfalls – und zwar in allen Orten – zusammen, auch verstärkt nach 1918 im national geprägten Kriegerverein (nachgewiesen für Siegfried Jakob in Issel). Nandor Fruchter war sogar Mitbegründer des Schweicher Motorradclubs und Otto Salm Vorstandsmitglied des dortigen Turn- und Sportvereins. [5] Dazu muss er dann wohlgemerkt auch von Nichtjuden gewählt worden sein. Gleiches gilt für politische Gremien, in denen sie auch eine Rolle spielten (etwa im Schweicher Gemeinderat Nathan Raphael Kahn von 1910-16 und Nathan Kahn von 1924-33). Selbstverständlich kaufte man ferner beim Juden; viele taten das sogar noch nach dem Boykottaufruf der Nationalsozialisten vom 1. April 1933. Die teils guten persönlichen Beziehungen hielten in Schweich – laut nichtjüdischen Zeitzeugenberichten – auch danach noch an und äußerten sich demnach in heimlicher Versorgung und Schutz von Juden und deren Wertgegenstände (auch einer Menora und Torarolle?) beim Novemberpogrom. Es gab sogar vereinzelt Besuche bei Juden nach ihrem Wegzug, etwa in Köln. Die sich solidarisch zeigten, konnten freilich wiederum selbst zu Opfern nationalsozialistischer Agitation werden. [6] Ein Rückzug in die Anonymität war für sie ebenso wie für die Juden im Gegensatz zu größeren Städten nämlich nicht möglich.

Die Juden, sowohl die Männer, die als Händler unterwegs waren, als auch die Frauen, die meist die Geschäfte führten, waren mobiler und überwiegend besser gekleidet als die Bauern und Winzer, die auf den Feldern und im Weinberg arbeiten mussten. Das führte zu dem Vorurteil, die Juden würden wenig bzw. nicht richtig arbeiten und würden ihr Geld verdienen, ohne sich dreckig zu machen und insgesamt zu einer Exklusion der Juden aus der bäuerlichen Hilfsgemeinschaft. Freilich waren Sie im Ancien Régime ja zum Handel gezwungen, da ihnen der Landbesitz und die Mitgliedschaft in den Zünften verwehrt worden waren. Nach der Emanzipation waren dann auch Juden im Weinbau und v.a. auch als Handwerker, insbesondere in Schweich nachgewiesen, was durchaus auch zu einer allmählichen Erosion dieser Dichotomie führte.

Die Selbsinklusion der hiesigen Juden ging hingegen mitunter sehr weit. Beispielsweise wurden von jüdischen Architekten damals scharfe Auseinandersetzungen darüber geführt, ob die Synagogen im maurischen oder neoromanischen [7] Stil erbaut werden sollten. Die Tatsache, dass in Schweich, Mehring und Leiwen eher der neoromanischen – und damit der einheimischen – Architektur der Vorzug gegeben wurde, bezeugt die Inklusionsbereitschaft der hiesigen Juden.

Vollends problemlos, wie es zuweilen pauschal heißt, [8] war das Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden allerdings nicht. Eines Tages, so etwa Frau Madertz aus Klüsserath, habe ein Nazi, als sie das Kind einer befreundeten jüdischen Familie spazieren gefahren habe, in die Kutsche gespuckt. Auch der Lehrer, P. A., habe sie in der Schule getadelt, weil sie mit Juden verkehre und deren Kinder spazieren fahre.
In Gesprächen mit älteren Menschen artikulieren sich auch hin und wieder abergläubische Vorstellungen, so z. B. die Juden besäßen das 6. Buch Mose, das ihnen besondere Zauberkräfte verleihe, mit denen sie den Christen Schaden zufügen könnten. Über diese magischen Zauber- und Hexenkräfte der Juden wissen ältere Menschen noch die aberwitzigsten Geschichten zu erzählen: Juden könnten das Vieh im Stall verhexen. Oder hatte ein Kind ein Loch im Strumpf, dann sagte man, da habe ein Jude drauf gespuckt. Als „stinkige Juden“ wurden sie hier und da verspottet, sie würden nach Knoblauch riechen.

Quellen

5
Paradox mag für uns heute folgende Begebenheit in diesem Zusammenhang klingen: Der in Bosen geborene Leo Sender war Gewinner des Preisschießens der Freiwilligen Feuerwehr in Issel – und zwar im Juni 1934, also fast anderthalb Jahre nach der Machtergreifung. Dazu gab es eine Meldung im nationalsozialistischen Trierer Nationalblatt und eine Rede des Wehrführers, der zwischenzeitlich der NSDAP beigetreten war. Er hielt eine nationalgesinnte Ansprache an die Preisträger und die Gäste, in der er den Gewinner feierte und besonders die Jugend zur Pflege des Schießsportes anhielt.
6
So erging es den Teilnehmerinnen an der Beerdigung des letzten Juden in Schweich.
7
Dies geht auf Vorbilder im zeitgenössischen Kirchenbau zurück (u.a. im größeren regionalen Kontext die Herz-Jesu-Kirche in Koblenz).
8
„Das Verhältnis der Juden zu ihren christlichen Nachbarn war problemlos. So gab es hier in der berüchtigten ‚Reichskristallnacht‘ keine Übergriffe auf jüdisches Eigentum“, heißt beispielsweise in der Klüsserather Chronik (S. 180). Freilich lebte ohnehin 1938 wohlgemerkt auch nur noch eine ältere Jüdin in dem Moselort.
Vgl., auch zum Folgenden: René Richtscheid, 100 Jahre Erster Weltkrieg, in: Emil-Frank-Institut Jahresbericht 2013/2014, S. 17 – 22.