Juden waren also in den Augen ihrer christlichen Mitbürger zwar „anders“, sie hatten eine andere Religion, andere Sitten und Bräuche. Das wusste man, das war aber schon immer so; als Fremde wurden sie daher nicht empfunden. Die Traditionen der frommen Juden wurden sogar von den überwiegend ebenfalls traditionell frommen Christen wertgeschätzt, genauso wie umgekehrt auch. Man tolerierte also die jeweils andere Religion, nahm aber keinen großen Anteil daran, höchstens im Bereich des Brauchtums. Die „Andersartigkeit“ der Juden führte gelegentlich jedoch auch zu Vorurteilen und Konflikten. Der immer wieder aufgewärmte Vorwurf der Christen war derjenige des Gottesmordes. Besonders in der Karwoche konnte es durch die Predigt des Pfarrers, der zudem in den Großen Fürbitten am Karfreitag für die „treulosen Juden“ (pro perfidis Judaeis) betete, oft zu Beleidigungen und Drohungen gegenüber den Juden kommen [3]. Daher wurde in den Judenordnungen, auch für das Erzstift Trier, den Juden zu ihrem eigenen Schutz das Verlassen des Hauses, sogar das Öffnen von Türen und Fenstern an Feiertagen, besonders in der Karwoche verboten. In Leiwen kam es 1712 bei einer Prozession nachweislich zu derart motivierten Übergriffen, was der örtliche Pfarrer bei anderen Gelegenheiten noch hatte verhindern können.
Die Unkenntnis bzw. das mangelhafte Wissen der meisten Christen über Religion und gelebten Glauben der Juden führte oft zu Missverständnissen und Spannungen, gelegentlich sogar im gemeinsamen Spiel unter Kindern. Auf Unverständnis bei der christlichen Bevölkerung stießen etwa religiöse Vorschriften der Juden, so z. B. dass man beim Gebet eine Kopfbedeckung trägt. In Stefan Andres‘ Roman „Der Knabe im Brunnen“ zieht der kleine Steff dem roten Koppel die Mütze vom Kopf, als dieser sie beim Tischgebet aufsetzt, und sagt vorwurfsvoll zu ihm: „Du Bonem, wenn man betet, zieht man de Mütz ab!“ Der rote Koppel war immer gut zu dem kleinen Steff und hatte ihm öfters ein Geldstück gegeben. Doch als der kleine Steff glaubt, der rote Koppel habe ihm die Klötze unter seine Wiege geschlagen, damit er von seinen Eltern nicht mehr gewiegt wird, wirft er ihm das alte Vorurteil an den Kopf, das er auf einem Bittgang von einer Frau erfahren hatte: „Ja, Bonem, du hast mir de Klötz unter de Wieg geschlagen. Und als de Heiland ant Kreuz geschlagen wurde, warst du auch dabei! Hier auf der Mühl wissen et all!“ [4]
Die religiöse Vorschrift, dass Nachfahren der Priester nicht den Friedhof betreten, traf in Schweich auf die Familie Kahn zu, deren Gräber daher am Rand des Friedhofs ihren Platz fanden. Mitunter wurde dies als ‚Verfluchung‘ der Familie fehlgedeutet.
In ähnlicher Weise kommentierte man die für Christen ungewohnten Melodien der jüdischen Gesänge und Gebete in hebräischer Sprache, die man nicht verstand, mit der Bemerkung: Jetzt „mauscheln“ sie wieder! Dass die jüdischen Kinder laut die Bibeltexte und Gebete aufsagten und dabei den Oberkörper vor- und rückwärts bewegten, sah man als Zeichen der Disziplinlosigkeit an. Auch dass man in der Synagoge später kommen, zwischendurch und früher hinausgehen konnte – im Hause des Vaters fühlt und benimmt sich der Jude ungezwungen –, war für die christlichen Dorfbewohner nicht zu begreifen, herrschte doch im christlichen Gottesdienst absolute Disziplin. Wenn heute Kinder oder Erwachsene zusammen und dabei laut sind, hört man hier und da bei der älteren Generation noch den Ausspruch: Hier geht es zu wie in einer Judenschule!
Möglicherweis empfanden dies manche Juden aber ebenso, weshalb es dann vielleicht zu der erwähnten Übernahme von Elementen des Bauschemas christlicher Kirchen bei der später errichteten Leiwener Synagoge kam.